Gitarrenmusik im frühen 19. Jahrhundert

Zur Interpretation klassischer und frühromantischer Gitarrenmusik

Lady Wallscourt. Gemälde von Thomas Lawrence. 1825.
Lady Wallscourt. Gemälde von Thomas Lawrence. 1825.

Die sechssaitige Gitarre erlebte schon bald nach ihrer Erfindung um 1790 eine erste Blütezeit. Zunächst war sie als einfaches Liedbegleitungsinstrument bei Dilettanten beliebt, später auch als anspruchsvolles Ensemble- und Soloinstrument. Eine Fülle von Gitarrenliteratur entstand in dieser Zeit. In Wien, Paris und London machten Mauro Giuliani, Ferdinando Carulli und Fernando Sor die Gitarre als Konzertinstrument populär. Nach 1830 verlor das Instrument jedoch zugunsten des Klaviers an Popularität. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts fristete die Gitarre ein Nischendasein.

Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts brachten die Tárrega-Schüler Miguel Llobet und Emilio Pujol sowie der Autodidakt Andrés Segovia die Gitarre zurück in die Konzertsäle. In der Zwischenzeit hatten sich Spieltechnik und Instrument weiterentwickelt. Das führte dazu, dass man die vermeintlich anspruchslosen Werke der Klassik und Frühromantik mit einer gewissen Herablassung betrachtete und die wenigen Gitarrenwerke von Giuliani und Sor, die man ins eigene Repertoire aufnahm, aus dem Geist der Spätromantik interpretierte.

Heute steht man im Zuge der historischen Aufführungspraxis einer romantisierenden Interpretation klassisch-frühromantischer Musik kritisch gegenüber. Leitend ist dabei die Erkenntnis, dass Musik jeweils lebendiger Ausdruck ihrer Zeit ist. Musik ist von dem Geist, aus dem heraus sie entstanden ist, und von der Musizierpraxis ihrer Zeit nicht zu trennen. Will man der klassisch-frühromantischen Musik gerecht werden, führt kein Weg daran vorbei, sich vom spätromantischen Klangideal zu lösen und die Musizierpraxis des frühen 19. Jahrhunderts wieder aufleben zu lassen. Während das Bewusstsein für die historischen Voraussetzungen von Musik fast überall angekommen ist, tut sich die heutige Gitarrenszene noch schwer, die historische Aufführungspraxis im Konzertleben zu etablieren. Um einen Beitrag zur Wiederbelebung einer vergessenen Musiktradition zu leisten, werden auf dieser Seite historische Quellen vorgestellt, die einen Eindruck von der Vielfalt und Eigenart des Musiklebens im frühen 19. Jahrhundert geben.