Haltung und Stabilisierung der Gitarre

1 Die anmutige Gitarrenhaltung: die linke Hand als Stützpunkt

Muse mit Wiegenkithara. Attisch-weißgrundige Lekythos, 440-430 v. Chr.
Muse mit Wiegenkithara. Attisch-weißgrundige Lekythos, 440-430 v. Chr.

Die Haltung der Gitarre muss heute vor allem zwei Anforderungen genügen: Sie muss die Stabilität des Instrumentes und die Bewegungsfreiheit der Greif- und Spielhand gewährleisten. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts hatte sie noch eine dritte Anforderung zu erfüllen: Sie musste "anständig" sein. Das schränkte die Instrumentenwahl für Frauen ein. Frauen durften nur Instrumente spielen, die ihnen erlaubten, eine sittsame Spielhaltung einzunehmen. Nach damaliger Auffassung waren dies Gitarre, Harfe und Klavier.

Die Bedeutung einer "anständigen" Haltung beim Gitarrenspiel wird durch Zitate aus Gitarrenschulen belegt. Der anonyme Verfasser der "Guitarre-Schule" (1802) beginnt sein Werk mit dem Satz: "So wie jedes Instrument einen gewissen Anstand beim Spielen erfordert; eben so verlangt die Guitarre eine besondere Sorgfalt bei Haltung derselben" (N. N. 1802, S. 1; vgl. Lehmann 1820, S. 6; Bathioli 1825 Theil I/1, S. 26). Worauf bei einer "anständigen" Haltung der Gitarre zu achten ist, erläutert Heinrich Christian Bergmann in seiner "Kurze[n] Anweisung zum Guitarrspielen" (1802): "So wie bey dem Spielen des Klaviers, oder eines andern Instruments, alle Grimassen vermieden werden müssen, so ist es auch bey dem Spielen der Guitarre; und bey diesem Instrumente hat man beynahe noch mehr Vorsicht nöthig, auf guten Anstand zu sehen, weil schon mehr Unbequemlichkeit durch das breite Griffbret, theils auch durch das Anschlagen der Saiten sc. entsteht, und man überdies auch noch auf kürzere und längere Finger zu sehen hat" (Bergmann 1802, S. 3).

Zunächst galt es, alle Bewegungen zu vermeiden, die eine unschöne Mimik oder Gestik hervorrufen konnten. Spieltechniken wie große Barrégriffe, das Spreizen der Greiffinger und häufige Lagen- und Registerwechsel sollten vermieden werden. Anton Gräffer empfahl in seiner "Systematische[n] Guitarre-Schule" (1811/12), vom Registerwechsel "nicht oft ... Gebrauch zu machen, so wie auch alle Bewegungen und Geberden zu vermeiden sind, die nur dem Spiele, wenn es noch so schön ist, seinen Werth benehmen" (Gräffer 1811, S. 10; vgl. J. M. G. y E. 1819, S. 4).

Madame Récamier mit Lyragitarre. Gemälde von  François Gérard. ca. 1800.
Madame Récamier mit Lyragitarre. Gemälde von François Gérard. ca. 1800.

Zur musikalischen Etikette des frühen 19. Jahrhunderts gehörte es aber auch, bei der Haltung des Instruments auf ein ästhetisch ansprechendes Gesamtbild zu achten. In der Epoche des Klassizismus (1770-1840) orientierte man sich in Mode und Kunst an den ästhetischen Vorbildern der Antike. Auch die Gitarre, deren Name sich vom altgriechischen Wort "Kithara" ableitet, galt als Nachfahrin der antiken Saiteninstrumente. So leitete ein gewisser "Kitharophilos" sein Gedicht "Empfehlung der Guitare" mit den Worten ein: "Freund, lerne spielen die Guitare! / Sie gleicht des Griechen Barbiton. / Man trift auf ihr so leicht das Wahre, / Und alles Falsche fliegt davon! // Sie fasset in sich alle Töne, / Enthält der Sphären Harmonie - / So liegt im Herzen jedes Schöne; / Heil dem, der es verräth, wie sie!" (Journal des Luxus und der Moden 12/1797, S. 131).

Sichtbarster Ausdruck dieser Gräkomanie war die Lyragitarre, die zwischen 1780 und 1820 als Saloninstrument bei den Damen der Gesellschaft sehr beliebt war. Das Instrument war das ideale Accessoire für junge, modebewusste Salon-Debütantinnen, die bei der Gesangsbegleitung "den anmuthigen Anblick griechischer sogenannter Citherspielerinnen" geben wollten (AMZ 3/1801, Sp. 788).

Gitarrenspielerin mit Chemise, in: F. Molino: Nouvelle Méthode Complette. 1817.
Gitarrenspielerin mit Chemise, in: F. Molino: Nouvelle Méthode Complette. 1817.

Auch die Haltung der Gitarre orientierte sich an antiken Darstellungen von musizierenden Kithara- und Lyraspielern. Dazu gehörten eine sittsam geschlossene Beinhaltung, ein gerader Rücken und eine anmutige Ausstrahlung, die sich in den Armbewegungen beim Gitarrenspiel ausdrückte. Dementsprechend forderte Francesco Molino von seinen Schülerinnen und Schülern: "Die Stellung des ganzen Körpers und besonders die des Kopfs muss mit jener Haltung des Instruments übereinstimmen und sie zu erhalten suchen. Ein edler und zwangloser Anstand erleichtert den Gebrauch aller Kunstmittel. Durch ihn erhalten die natürlichen Bewegungen des Arms, der Hände und der Finger eine gewisse Anmuth und das ganze Spiel wird leichter. Man vermeide in der Haltung des Körpers alles Gesuchte und Gezierte, das leicht ins Lächerliche fällt" (Molino 1813, S. 10; ders. 1817, S. 19). Von den Damen wurde erwartet, dass sie eine graziöse Sitzhaltung einnahmen und beim Gitarrenspiel ihre "schöne[n] Arme und Hände“ elegant präsentierten (AMZ 1/1799, Sp. 283). Unterstrichen wurden die weiblichen Reize durch eine an antiken Vorbildern orientierte Damenmode, die Mode à la grecque. Charakteristisch war die Chemise, ein langes Hemdkleid aus dünnem Stoff in schlichtem, tunikaartigem Schnitt mit hoch angesetzter Taille, freizügigem Dekolleté und kurzen Ärmeln. Sie prägte die Mode des Directoire (1795-1799) und des Empire (1799-1820).

Wie sah die ideale klassische Gitarrenhaltung aus? Charles Doisy hat sie in seiner "Vollständige[n] Anweisung für die Guitarre" (1802) ausführlich beschrieben: "Die Vollkommenheit und die Schwierigkeit auf der Guitarre lieget in der linken Hand, welche daher auch mehr, als die rechte, geübt werden muss. Um ihr das Greifen zu erleichtern, nimmt man den Hals zwischen dem Daumen und dem Zeigefinger der linken Hand, stellet die Guitarre so auf das rechte Knie, dass die Oberdecke abwärts gekehrt ist, die Guitarre selbst aber mehr eine stehende, als liegende Stellung erhalte. Die linke Hand darf nicht zu fest auf dem Halse aufliegen, weil dadurch die Gelenksamkeit der Finger gebunden, und das Spiel fast unmöglich gemacht wird; sie muss daher jeder Stellung erhaben seyn" (Doisy 1802, S. 3f.; vgl. Bergmann 1802, S. 1f.; N. N. 1802, S. 1f.; Lemoine 1802, S. 2; Gatayes 1803, S. 6; Scheidler 1803, S. 3; Bortolazzi 1831, S. 6; Bevilacqua 1808, S. 1; Molino 1813, S. 9; Bornhardt 1815, S. 3; J. M. G. y E. 1819, S. 3; Seegner 1828, S. 6; Nüske 1832, S. 1). Der Begriff "Knie" war zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein Euphemismus für den Oberschenkel.

Die von Doisy beschriebene Gitarrenhaltung hatte zwei Stützpunkte: den rechten Oberschenkel, auf dem das untere Zargenende am Bandknopf ruhte, und die linke Hand, die den Gitarrenhals in der Nähe des Sattels zwischen dem Zeigefingergrundglied und dem Daumenendglied umfasste. Der Kopf der Gitarre wurde etwa in Augenhöhe gehalten, die Decke leicht nach unten geneigt. Die Diagonale des Instruments betrug ungefähr 60 Grad. Außerdem wurde die Gitarre in einem Winkel von etwa 45 Grad zum Oberkörper gehalten, damit der Boden der Gitarre beim Spielen frei schwingen konnte. Simon Molitor wies besonders auf diesen Punkt hin: "... man halte das Instrument aufrecht, so dass die Schneke desselben zwischen den Kopf und der linken Achsel zu stehen kommt: man lege es nie an den Leib an, verwerfe die zu starke Besaitung und man wird sich überzeugen, dass auf der Guitare ein verhältnismässiges Nachhallen der Töne - wie auf dem Klavier oder der Harfe - vorhanden ist" (Molitor 1806, S. 17). Aus dem gleichen Grund riet Friedrich Guthmann davon ab, den rechten Unterarm auf den Rand der Gitarre zu legen: "Den rechten Arm lasse man wenig, oder am besten gar nicht auf der Guitarre ruhen: er hemmt die Vibration des Tons" (AMZ 8/1806, Sp. 365).

Charles Doisy nannte noch einen dritten und vierten Stützpunkt für die Gitarre, auch wenn er sie nicht als solche bezeichnete: "Um die rechte Hand mit Leichtigkeit brauchen zu können, setze man sie zwischen das Schallloch und den unteren Steg, ohne jedoch diesen zu berühren, setze den kleinen Finger, um der Hand Festigkeit zu geben, auf die Oberdecke, und schlage mit den übrigen Fingern die Saiten an" (Doisy 1802, S. 4). Doisy empfahl, den kleinen Finger der rechten Hand als Stützfinger auf die Decke zu setzen, um die Anschlagshand zu stabilisieren. Folgte man dieser Empfehlung, so musste man fast zwangsläufig den rechten Unterarm auf die Gitarrenkante legen. Der Stützfinger gab also zusammen mit dem rechten Unterarm der Gitarre zusätzlichen Halt, auch wenn Doisy dies nicht explizit formulierte.

In der Folgezeit wurde dem rechten Unterarm im Zusammenhang mit der Gitarrenhaltung mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Zunächst wurde nur darauf hingewiesen, dass der rechte Unterarm bei der Anwendung der Stützfingertechnik auf der Gitarrenkante aufliegt: "In Ansehung des Armes, hat man dahin zu sehen, daß er, ohne die Saiten zu berühren, auf dem Arm der Guitarre ruhe" (Bergmann 1802, S. 3; vgl. N. N. 1802, S. 2; Staehlin 1811, S. 5; Carulli 1819, S. 4; Lintant 1822, S. 3). Später wurde der rechte Unterarm explizit als Stützpunkt bezeichnet. D. Joly beschrieb die Haltung der Gitarre folgendermaßen: "Man sollte bequem sitzen, die Füße aufrecht, die Knie leicht gespreizt, den Körper gerade, und das Instrument auf der rechten Seite des Körpers abstützen, wobei der Hals leicht von rechts nach links geneigt wird. Der untere Teil des Instruments sollte von der Hälfte des rechten Unterarms gestützt werden (Achten Sie darauf, den Ellbogen nicht anzuheben)" (Joly 1819, S. 6 übers.). Und Jean-Baptiste Mathieu formulierte noch deutlicher: "Der rechte Arm, den man neben dem Steg auflegt, dient als Stütze" (Mathieu 1825, S. 5 übers.). Bénigne Henry schließlich wies dem rechten Unterarm und dem kleinen Finger die alleinige Stützfunktion zu. Die Greifhand sollte sich frei bewegen können: "Außerdem ist es erforderlich, dass der rechte Arm und die rechte Hand die Gitarre so halten, dass die linke Hand alle Positionen durchlaufen kann" (Henry 1826, S. 3 übers.).

C. Eugène Roy: Petite Méthode pour la Guitare. 1840.
C. Eugène Roy: Petite Méthode pour la Guitare. 1840.

Die klassische Gitarrenhaltung hatte vier Auflagepunkte: 1. den rechten Oberschenkel, 2. die linke Hand, 3. den rechten Unterarm und 4. den kleinen Finger der rechten Hand. Sie blieb während der gesamten klassisch-frühromantischen Epoche in Gebrauch. Noch das Titelblatt der "Petite Méthode pour la Guitare" (1840) von C. Eugène Roy zeigt die beschriebene Haltung (s. Abb.). Die kleine Gitarrenschule richtete sich ausschließlich an Anfänger.

Diese Haltung genügte für die anspruchslose Musik, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts für Gitarre geschrieben wurde. Mit der Entwicklung eines neuen Repertoires und den wachsenden Anforderungen an die Gitarre als Soloinstrument musste die Standardhaltung jedoch überdacht und der Bewegungsfreiheit der linken Hand sowie der Stabilität des Instruments mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden.

J. M. G. y E.: Rudimentos para tocar la guitarra por música. 1819. S. 2
J. M. G. y E.: Rudimentos para tocar la guitarra por música. 1819. S. 2

1) Um die Bewegungsfreiheit der linken Hand zu vergrößern, wurde der Schwerpunkt der Gitarrenhaltung nach rechts verlagert. Diesen Ansatz verfolgte der Autor der Gitarrenschule "Rudimentos para tocar la guitarra por música" (1819) mit den Initialen J. M. G. y E. Der Autor verzichtete sowohl auf die Verwendung der linken Hand als Stützpunkt als auch auf den Gebrauch des rechten kleinen Fingers als Stützfinger: "Anhand der obigen Abbildung wird der Anfänger in die Haltung des Spielers eingeführt, die der gezeigten entsprechen muss. Die Beine dürfen nicht gespreizt sein und die Gitarre muss auf der Innenseite des rechten Oberschenkels liegen. Diese Haltung ist zwar für den linken Arm etwas unbequem, da er sich in der Luft befindet, ohne auf der Seite zu ruhen, aber sie ist wegen des doppelten Vorteils, den sie bietet, unerlässlich; nämlich, dass die Gitarre fixiert und gehalten wird, ohne dass die Gefahr besteht, dass die linke Hand in eine heftige Bewegung gerät und man den Punkt verfehlt; und dass die linke Hand frei ist für jede Art von Ausführung, da sie sich problemlos über das gesamte Griffbrett oder den Hals der Gitarre bewegen kann. Man beachte auch, dass der Spieler auf einem niedrigen Stuhl sitzt, ein Umstand, der nachahmenswert ist" (J. M. G. y E. 1819, S. 4 übers.; vgl. Henry 1826, S. 3).

Die beschriebene Haltung hatte nur zwei Stützpunkte: den rechten Oberschenkel und den rechten Unterarm. Ob sie tatsächlich geeignet war, die Gitarre ausreichend zu fixieren und die Bewegungsfreiheit der Greif- und Spielhand zu gewährleisten, ist fraglich. In gewisser Weise stellte sie das Bindeglied zwischen der klassischen Gitarrenhaltung und der von Dionisio Aguado bevorzugten Haltung dar, bei der die Sitzfläche des Stuhls zur Fixierung der Gitarre benutzt wurde (s. u.).

2) Um die Gitarre beim Spielen möglichst stabil zu halten, wurde die klassische Gitarrenhaltung leicht modifiziert. Die erste Variante nutzte den Oberkörper als zusätzlichen Stützpunkt für den Gitarrenkorpus. Heinrich Christian Bergmann bevorzugte diese Methode: "... so stütze man dieselbe auf die rechte Lende, und halte sie in einer mehr stehenden als liegenden Lage. Um sicherer spielen zu können, halte man sie auch nicht zu weit vom Körper ab" (Bergmann 1802, S. 1; vgl. N. N. 1802, S. 1). Auch Johann Jakob Staehlin und Johann Traugott Lehmann nutzten den Oberkörper zur Stabilisierung des Instruments: "Man stütze dieselbe auf die rechte Lende, so dass der untere Theil den Körper des Spielenden berühre, damit sie nicht wanken könne" (Staehlin 1811, S. 5). "Man stütze die Guitarre auf die rechte Lende (...). Ferner halte man sie so, dass der untere Theil mit am Körper ruht, damit sie nicht schwanken kann, wobei das Spiel unsicher werden würde" (Lehmann 1820, S. 6f.).

Natalie Houzé, eine Schülerin von Molino und Sor. Lith. von G. Engelmann. ca. 1830.
Natalie Houzé, eine Schülerin von Molino und Sor. Lith. von G. Engelmann. ca. 1830.

Die zweite Variante vergrößerte die Auflagefläche der Gitarre und damit die Stabilität des Instruments. Hier wurde die Gitarre nicht auf dem rechten Oberschenkel, sondern auf dem Schoß abgestützt, wobei der rechte Oberarm den Gitarrenkorpus leicht in den Schoß drückte (s. Abb.). Diese Gitarrenhaltung wurde von Jean-Baptiste Phillis favorisiert: "Man sollte sitzen, die Gitarre auf den Knien dicht am Körper halten, den linken Fuß heben, den Hals hochhalten und die Hand mit dem Daumen der linken Hand anmutig unter dem Hals hervortreten lassen" (Phillis 1799, S. 1f. übers.; vgl. Molino 1823, S. 16f.). Die Gitarre wurde vom Oberkörper ferngehalten, um die Resonanz des Instruments nicht zu beeinträchtigen. Anton Gräffer empfahl, die Gitarre so zu halten, "daß ihr Hals mehr gerade als zu schief - liegend - etwas vorwärts zu stehen kömmt, und der untere Theil fest in dem Schooße ruhet; doch soll selbe links immer vom Leibe einigermassen entfernt bleyben, damit der Hals frey sey, auch weil, wenn sie anliegt, der Ton gedämpft wird" (Gräffer 1811, S. 9; vgl. Häuser 1833, S. 5f.).

Schließlich gab es noch die Möglichkeit, beide Varianten zu kombinieren. Francesco Bathioli benutzte den Oberkörper und den Schoß, um die Gitarre stabil zu halten: "In besagter Stellung legt man den untern breitern Theil des Instrumentes so in den Schooß, dass sein Rand auf dem rechten Schenkel ruht; der obere schmälere Theil an den Leib sehr leicht anliegt, und das Schildchen mit dem Auge fast einerlei Höhe hat" (Bathioli 1825 Theil I/1, S. 26).

1.1 Fußschemel und Tuch als Hilfsmittel

Ch. Lintant: Petite Méthode de Guitare ou Lyre. 1822.
Ch. Lintant: Petite Méthode de Guitare ou Lyre. 1822.

Eine weitere Möglichkeit, die Unzulänglichkeiten der klassischen Gitarrenhaltung auszugleichen, war die Verwendung von Hilfsmitteln. Ferdinando Carulli empfahl den Spielerinnen, einen kleinen Schemel unter den linken Fuß zu stellen, um die Gitarre auch auf dem linken Oberschenkel abstützen zu können: "Man sollte weder zu hoch noch zu tief sitzen, damit die Gitarre nicht zu sehr gegen die Brust gehoben wird oder in Richtung Knie rutscht. Man sollte das Instrument auf dem linken Oberschenkel abstützen, wobei der Hals höher als der untere Teil des Korpus sein sollte. Die Damen können einen Schemel unter den linken Fuß stellen. (...) Der Hals sollte auf den ersten Gelenken von Daumen und Zeigefinger der linken Hand aufliegen, wobei diese beiden Finger frei bleiben" (Carulli 1819, S. 3 übers.; vgl. Henry 1826, S. 4). Der durch die Fußbank angehobene Oberschenkel stützte die Gitarre am unteren Zargenbogen ab und gab ihr so zusätzlichen Halt.

Auch Charles Lintant empfahl diese Sitzhaltung: "Die Gitarre sollte quer auf den rechten Oberschenkel gelegt werden, so dass der linke sie leicht spürt" (Lintant 1822, S. 3 übers.). Auf der Abbildung in Lintants Gitarrenschule ist zu sehen, dass die Schülerin ein Tuch über den linken Oberschenkel gelegt hat, um zu verhindern, dass die Gitarre an der Kontaktstelle mit dem linken Bein verrutscht. Außerdem ist zu erkennen, dass die Fußstütze nur 10-12 cm hoch war. Die natürliche Sitzhaltung blieb durch die niedrige Höhe des Hockers erhalten.

J. M. Noriéga: Nouveaux Principes pour la Guitare. 1833.
J. M. Noriéga: Nouveaux Principes pour la Guitare. 1833.

Eine exzentrische Variante der klassischen Gitarrenhaltung stellte der spanische Gitarrist J. M. Noriéga in seiner Schule "Nouveaux Principes pour la Guitare" (1833) vor: "Die beste Art, die Gitarre zu halten, ist zweifellos, sie vor sich aufzustellen, fast gerade; aber das ist ermüdend, besonders für Damen, und wirkt zu aufgesetzt" (Noriéga 1833, S. 7 übers.). Wie auf dem Titelbild seiner Gitarrenschule zu sehen ist, soll die Gitarre auf dem linken Oberschenkel liegen, der durch einen Fußschemel angehoben wird. Der Oberschenkel soll das Gewicht des Instruments tragen, der linke Daumen die Gitarre stützen und im Gleichgewicht halten: "Der Daumen hat keine andere Aufgabe, als die Gitarre leicht zu stützen, ohne sie zu drücken" (ebd.).

1.2 Das Trageband als Hilfsmittel

C. M. Sola: Instructions for the Spanish Guitar. 1819.
C. M. Sola: Instructions for the Spanish Guitar. 1819.

Ein weiteres häufig verwendetes Hilfsmittel war das Trageband. Die meisten Gitarren des frühen 19. Jahrhunderts waren mit einem Bandknopf ausgestattet. Denn die Gitarre wurde vor allem wegen ihrer Transportfähigkeit geschätzt. Die Verwendung eines Tragebandes bot sich für alle Formen des Musizierens im Freien an. Auch bei Konzerten wurde die Gitarre von Sängern an einem Band um Hals und Schulter getragen.

Über die Verwendung eines Tragebandes beim solistischen Gitarrenspiel gingen die Meinungen auseinander. So empfahl C. F. Scheidler in seinem Artikel „Etwas über die Sister“ grundsätzlich die Verwendung eines Bandes: „Die Haltung der Sister ist ganz dieselbe wie bey der französischen Guitarre; auch bedient man sich, wie bey jener, eines Bandes über die Schultern, um ihr mehr Festigkeit zu geben“ (AMZ 6/1804, Sp. 62). Auch Maximilian von Schacky empfahl ein Band, um die Gitarre beim Spielen stabil zu halten: "Zum sichern Spiele und schöner Haltung der Guitarre welche fast ganz gerade aufgestellt werden soll, ist ein Band durchaus erforderlich, und nie zu rathen die Guitarre liegend zu spielen" (Schacky 1824, S. 2). Francesco Molino hingegen riet nur Anfängern, "sich in den ersten Monaten eines Bandes zu bedienen, um der Guitarre eine festere Haltung zu geben" (Molino 1813, S. 9; ders. 1817 S. 18).

Gitarrenspielerin mit Biedermeierkleid, in: B. Henry: Méthode pour la Guitare. 1826.
Gitarrenspielerin mit Biedermeierkleid, in: B. Henry: Méthode pour la Guitare. 1826.

Vor allem Frauen benutzten Tragebänder, da ihre Kleidung die Stabilisierung des Instruments erschwerte. Nach dem Empire wurde die Damenmode im Biedermeier deutlich unbequemer. Die Röcke und Ärmel der Biedermeierkleider wurden so voluminös, dass sie beim Musizieren störten. Nicht selten wurde das Band mit anderen Hilfsmitteln, dem Tuch oder der Fußbank, kombiniert, um das Instrument ausreichend zu stabilisieren.

Daneben gab es auch modische Gründe für die Verwendung von Tragebändern. Die farbigen Bänder waren meist aus Seide und konnten mit einer dekorativen Schleife am Instrument befestigt werden. Ein literarisches Beispiel für die Bedeutung, die dem äußeren Erscheinungsbild beim Gitarrenspiel beigemessen wurde, stammt aus der Novelle "Der alte Hauptmann" (1913) von Sophus Bauditz (1850-1915): Der Protagonist der Novelle suchte in einem Gasthof Unterschlupf, nachdem er auf dem Weg vom dänischen Aarhus nach Viborg von einem Gewitter überrascht worden war. Dort traf er auf eine Reisegesellschaft, die den Abend musikalisch gestaltete: "Jungfer Wilhelmsen holte die Guitarre und trug zu eigener Begleitung ein italienisches Volkslied vor. Wovon es handelte, das mag Gott wissen (...). Das war nun auch garnicht nötig! Ich brauchte eigentlich garnicht zu hören, ich hatte genug vom Sehen. - Gibt es eine Situation, die vorteilhafter für eine Frau ist - natürlich nur wenn sie jung und hübsch ist - als mit der Gitarre im Schoß und dem seidenen Band um den Nacken da zu sitzen?" (1).

Gitarrenspieler. Pinsel in Grau und Braun. ca. 1780.
Gitarrenspieler. Pinsel in Grau und Braun. ca. 1780.

Mit Beginn der Restauration änderte sich die Einstellung gegenüber den klassizistischen Idealen des Empire, dem Repräsentationsstil der napoleonischen Zeit. Die antikisierende Mode wurde nicht mehr als zeitgemäß empfunden. So lehnte Carl Blum den Gebrauch des Tragegurtes als "schäferähnliche Manier" ab: "Sehr viele Guitarrenspieler finden es für gut, die Guitarre an einem Bande zu tragen, indem sie zur Entschuldigung dieser Schäferähnlichen Manier, den Grund angeben mehr Sicherheit und Kraft in das Spiel bringen zu können, weil die linke Hand alsdann nur sich mit dem Greifen der Töne beschäftigen dürfe. Ich bin durchaus nicht dafür, und würde es höchstens Damen erlauben, die sich weniger mit Erlernung großer Schwierigkeiten abgeben, und die Guitarre mehr zur Begleitung des Gesanges gebrauchen" (Blum 1818, S. 7). In den 1820er Jahren nahm die Bereitschaft ab, beim solistischen Gitarrenspiel ein Band zu verwenden, zunächst bei den Herren, ab den 1830er Jahren auch bei den Damen. Ein Band war auch nicht mehr notwendig, da Alternativen zur klassischen Gitarrenhaltung entwickelt wurden, die die linke Hand von ihrer Stützfunktion entlasteten bzw. befreiten.


2 Die zweckmäßige Gitarrenhaltung: der linke Oberschenkel als Auflagefläche

Ein Musiker mit seiner Familie. Französische Schule ca. 1815.
Ein Musiker mit seiner Familie. Französische Schule ca. 1815.

Einer der ersten Gitarristen, der den linken Oberschenkel als Auflagefläche für die Zargeneinbuchtung nutzte, war der Franzose Prosper Bigot. In seinen "Principes et Exercices pour la Guitare" (ca. 1810-18) empfahl er seinen Schülern: "Die Gitarre sollte quer auf dem linken Oberschenkel in der Zargeneinbuchtung platziert werden. Ein Schemel unter dem linken Fuß ist notwendig, um das Instrument etwas anzuheben und näher an den Körper zu bringen" (Bigot 1810, S. 3 übers.). Bigot empfahl die Gitarrenhaltung nicht deshalb, damit sich die Greifhand frei über das gesamte Griffbrett bewegen kann. Vielmehr ging es ihm um eine anmutige Rundung der linken Hand, die weiterhin den Hals der Gitarre stützen sollte: "Die linke Hand sollte den Hals mit dem Daumen und dem ersten Gelenk des Zeigefingers zwischen dem Sattel und dem ersten Bund stützen; damit aber diese Stellung anmutig ist, sollte der Daumen etwas unterhalb des Halses liegen, so dass sich die Hand von diesem entfernt und mit dem Unterarm rundet. Auf diese Weise werden auch die Finger abgerundet und fallen in Form eines Hammers senkrecht auf die Saite" (ebd.).

Carl Blum. Lithografie von J. E. Teltscher um 1819.
Carl Blum. Lithografie von J. E. Teltscher um 1819.

Der Berliner Gitarrist und Komponist Carl Blum (1786-1844) erkannte die spieltechnischen Möglichkeiten der neuen Gitarrenhaltung. In seiner "Neue[n] vollständige[n] Guitarren-Schule" (1818) stellte er sie als "zweckmäßig" und für öffentliche Auftritte geeignet vor: "Aber auch selbst Damen würde ich die folgende Abbildung sich zum Muster zu nehmen rathen; da diese hier vorgeschriebene Stellung ganz von der gewöhnlich üblichen abweicht, und, indem sie einen freiern Gebrauch des rechten Armes eben so wie ein richtiges Setzen der Füsse zulässt, gewiss eben so zweckmässig als schön ist. Im Anfange wird es denen, die an ein Band bei Haltung der Guitarre gewöhnt sind, freilich schwer fallen sich davon zu entwöhnen; die Folge aber wird die Wahrheit meiner Behauptung, dass durch das Weglassen desselben ein ungezwungenes, dreisteres und angenehmeres Wesen in Spiel und Stellung hervorgebracht wird, gewiss bestätigen. Vorzüglich empfehle ich das Folgende denjenigen die sich ganz der Musick widmen, und dermaleinst, öffentlich spielen wollen, zur Beherzigung. Eine vielfältige Erfahrung, hat mich selbst überzeugt, wie viel bei diesem Instrumente die Fertigkeit und Virtuosität abgerechnet, auf ein gefälliges und dreistes Aeussere, beim öffentlichen Auftreten ankömmt" (Blum 1818, S. 7f.).

Blums Ausführungen zur neuen Haltung der Gitarre machen deutlich, dass sich an der Schwelle von der Klassik zur Frühromantik die ästhetischen Maßstäbe verschoben hatten. Hatte man bisher bei der Gitarrenhaltung darauf geachtet, eine anmutige Sitzhaltung einzunehmen, so ging es nun darum, im Spiel ungezwungen und kühn zu wirken. Nicht Anstand und Etikette setzten den Maßstab, sondern der geniale Virtuose, der in seinen Konzerten Höchstleistungen vollbrachte und das Publikum in seinen Bann zog. Entsprechend wurde die Haltung der Gitarre den neuen Anforderungen angepasst. Sie sollte vor allem zweckmäßig sein und dem einzelnen Künstler die Möglichkeit geben, seine Fähigkeiten auf dem Instrument voll zur Entfaltung zu bringen.

In Blums Überlegungen zur Gitarrenhaltung kündigt sich der Geist einer neuen Epoche an, die nicht mehr das klassische Harmonie- und Schönheitsideal, sondern das künstlerische Subjekt in den Mittelpunkt der Kunstauffassung stellt: die Epoche der Romantik. Wenn heute das Abstützen des Instruments auf dem linken Oberschenkel als "klassische Gitarrenhaltung" bezeichnet wird, so geschieht dies in historischer Unkenntnis. Die Gitarrenhaltung mit dem linken Oberschenkel als Auflagefläche war eine moderne Haltung. Sie diente dazu, die Nachteile der klassischen Gitarrenhaltung auszugleichen und den Körper in eine spieltechnisch optimale Position zu bringen.

Carl Blum beschrieb die moderne Gitarrenhaltung folgendermaßen: "Man setze sich dergestalt auf dem Stuhle nieder, dass das linke Bein des Spielers grade vom Knie an bis zur Erde, fast perpendicular stehen kann, das rechte Bein hingegen ziehe man dergestalt zurück das es die rechte Seite des Stuhles (auf welchem man beiläufig gesagt, nicht grade die Mitte einnehmen muss) berührt. Der untere Theil der Guitarre, wo sich der Knopf befindet, ruhe auf dem obern Theil des rechten Schenkels, welcher dadurch, dass man ihn an die Seite des Stuhles drückt etwas höher wird. Der ausgeschweifte Bogen der Guitarre ruhe auf dem linken Schenkel; der kleine Finger der rechten Hand stütze sich auf einen Punkt zwischen dem Stege (Saitenhalter, Chevalez) und dem Schallloche (Rose). Befolgt man diese Stellung genau, so wird die Guitarre schon dadurch allein eine gewisse Festigkeit in der Lage gewinnen, die durch das Hinzufügen der linken Hand die indessen nicht fest an dem freiliegenden, in die Höhe etwas gerichtetem Halse sich ängstlich halten darf, vermehrt wird" (ebd. S. 8).

Nach Blum sollte die Gitarre durch vier Stützpunkte stabilisiert werden: 1. den linken Oberschenkel, 2. die Innenseite des rechten Oberschenkels, 3. den rechten Unterarm und 4. den Stützfinger der rechten Hand. Die linke Hand wurde dadurch von ihrer Stützfunktion entlastet, aber nicht befreit, wie Blum betonte. Der böhmische Gitarrist František Max Kníže (1784-1840) fügte deshalb der beschriebenen Haltung einen fünften Stützpunkt hinzu. Er legte die Gitarrenkante an den Körper, um die Gitarre zu fixieren und die Greifhand von ihrer Stützfunktion zu befreien: "Bei mir hat die Guitarre fünf Punkte, wodurch sie so festgehalten wird, dass man mit der linken Hand auf und ab fahren kann ohne dass sich das Instrument im geringsten rührt, und ohne dass man ein Band dazu nothwendig hat" (Kníže 1820, S. 12). Der Nachteil dieser Haltung war, dass die Gitarre relativ tief auf dem linken Oberschenkel auflag und eher eine liegende als eine stehende Position einnahm. Dies hatte zur Folge, dass die Greifhand im Handgelenk abgeknickt werden musste, die Barrégriffe schwer zu greifen waren und das Spiel in den hohen Lagen nicht sehr bequem war. Später wurde dieser Mangel durch die Verwendung eines Fußschemels behoben.

Giulio Regondi im Alter von 8 Jahren. Lithografie von G. Engelmann. 1830.
Giulio Regondi im Alter von 8 Jahren. Lithografie von G. Engelmann. 1830.

Louis Julien Chevessaille empfahl in seiner "Nouvelle Méthode de Guitare" (ca. 1826-29) die Verwendung eines Schemels für die neue Gitarrenhaltung: "Die allgemeine Art und Weise, sie zu halten, besteht darin, sie zu platzieren: Der untere Teil (a) auf dem linken Oberschenkel, der Fuß dieses Beines auf einem kleinen Schemel, das Ende der Gitarre (c) auf dem rechten Oberschenkel, der Teil (b) [= der obere Zargenbogen] berührt den Körper, so dass sich der Daumen der linken Hand etwa in der Mitte unter dem Hals befindet und der erste Finger nicht die E-Saite oder die Chanterelle berührt. (...) Das Instrument wird zwischen den Oberschenkeln und dem Körper gehalten. Die Gitarre darf nicht gegriffen werden" (Chevessaille 1826, S. 4 übers.).

Da bei dieser Gitarrenhaltung die Greifhand das Instrument nicht stützen muss und sich frei auf dem Griffbrett bewegen kann, ist es nicht verwunderlich, dass die bedeutendsten Gitarrenvirtuosen der Epoche - Luigi Legnani (1790-1877), Napoléon Coste (1805-1883) und Giulio Regondi (1822-1872) - diese Haltung praktizierten.

Giulio Rigondi als neunjähriges Wunderkind im Royal Adelphi Theatre in London. 1831.
Giulio Rigondi als neunjähriges Wunderkind im Royal Adelphi Theatre in London. 1831.

Legnani beschrieb sie in seiner "Metodo per chitarra" (1847) bis ins kleinste Detail: "In der Zwischenzeit werden wir darüber sprechen, was man tun muss, um die Gitarre richtig zu halten: 1. Man braucht eine kleine Bank, nicht höher als eine Handfläche, auf die man den linken Fuß stellt. 2. Der mittlere Teil, der nach innen gebogen ist, also der untere Teil des Instruments, muss auf den linken Oberschenkel gelegt werden. 3. Es wird notwendig sein, die Gitarre auf der Seite des Sattels höher zu halten und sie mit der linken Hand gut abzustützen, so dass die obere Breite der Zargen fast zur Hälfte zwischen dem linken und rechten Oberschenkel verborgen bleibt. 4. Der rechte Arm sollte auf die Kante von Resonanzdecke und Zarge gelegt werden, etwa eine Handfläche unterhalb des Ellenbogens, wobei die Hand leicht gewölbt über den Saiten gehalten wird. 5. Die Finger der rechten Hand sollten mit den Namen Daumen, Zeigefinger, Mittelfinger, Ringfinger und Ohrfinger bezeichnet werden. 6. Der Ohrfinger sollte auf den Steg gelegt werden, der Ringfinger über die Resonanzdecke, und während Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger die Saiten in Schwingung versetzen, sollten Ringfinger und Ohrfinger je nach Bedarf auf natürliche Weise gehoben und gesenkt werden" (Legnani 1847, S. 2 übers.).

Madame R. Sidney Pratten: Guitar School. 1859.
Madame R. Sidney Pratten: Guitar School. 1859.

Es ist anzumerken, dass die Höhe des Schemels in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts niedriger war als die der heutigen Fußstützen. Legnani gibt die Höhe mit einer "Handfläche" (ca. 10 cm) an, Aguado mit einer "Spanne" (cuarta) (ca. 15-20 cm). Die Gitarre lag also tiefer auf beiden Oberschenkeln als bei der heute üblichen Gitarrenhaltung (vgl. Aguado 1843, § 62).

Da die Gitarre zu Beginn des 19. Jahrhunderts einen kleineren Korpus als die heutige hatte, konnte diese Haltung auch durch leichtes Spreizen der Beine eingenommen werden. Diese schicklichere Variante war für Frauen gesellschaftlich akzeptiert. Mrs. Joseph Kirkman beispielsweise konnte sie ihren Schülerinnen als "eine einfache & nicht unelegant wirkende Haltung" empfehlen (Kirkman 1842, S. 2 übers.). Frauen waren nun in der Lage, wesentlich anspruchsvollere Werke zu spielen und in gewissen Grenzen selbst zu Virtuosinnen zu werden, wie zum Beispiel Catharina Josepha Pratten (1824-1895).

2.1 Der Tisch als Hilfsmittel

F. Sor: Méthode pour la Guitare. 1830. Fig. 6.
F. Sor: Méthode pour la Guitare. 1830. Fig. 6.

Während die meisten romantischen Gitarristen versuchten, die Haltung der Gitarre zu verbessern, indem sie den Halteanteil der Greifhand reduzierten, verfolgte Fernando Sor (1778-1839) einen radikaleren Ansatz. Er strebte die vollständige Bewegungsfreiheit der Greif- und Spielhand an.

Immer auf der Suche nach neuen Möglichkeiten, die Gitarrenhaltung zu optimieren, fand Sor mit Hilfe eines Tisches die ideale Lösung: "Indessen als meine Ansprüche an das Instrument wuchsen, bedurfte ich einer festern Stellung desselben, d.h. einer solchen, welche es nicht wider meinen Willen verändern könnte und dazu fand ich nichts zweckmäßiger als einen Tisch so vor mich zu stellen, dass einer seiner Eckwinkel dem zwölften Griff gegenüber lag, was mit Gelegenheit gab den Punkt B des Instruments auf das etwas hinweggeschobene rechte Knie und den Punkt C auf den Winkel D zu stützen. Dies Mittel welches mir die Stellung gab, die fig:7 bezeichnet, setzte mich in Stand den Hals mit der linken Hand zu beherrschen, welche jetzt nicht mehr mit der Haltung des Instruments belästigt war, da dieses nicht nur durch das Knie und den Tisch getragen, sondern auch dem Gewicht des rechten Arms unterworfen ward, welchen ich völlig auf dem Punkte E ruhen lasse" (Sor 1831, S. 8).

Sors Gitarrenhaltung gewährleistete nicht nur die Bewegungsfreiheit beider Hände, sondern hatte auch haltungsphysiologische Vorteile: Die Position des Instruments wurde an die Körperlängs- und Breitenachse angeglichen, der Oberkörper musste weder gedreht noch gebeugt werden. Dadurch dass die Gitarre mit dem unteren Zargenrundung auf den rechten Oberschenkel und der obere Zargenrundung auf eine Tischkante gesetzt wurde, konnte sie höher positioniert werden. Der linke Fuß musste nicht mehr auf einen Fußschemel gestellt werden. Das Becken befand sich somit nicht mehr in einer Schräglage. Außerdem bot die Tischkante mehr Stabilität beim Gitarrenspiel.

Trotz der Vorteile konnte sich diese Spielhaltung nicht durchsetzen. Die Gründe liegen auf der Hand: Die Gitarrenhaltung war nur in den eigenen vier Wänden praktikabel. Die Höhe des Tisches musste an die Körpergröße des Spielers und des Höhe des Stuhls angepasst sein. Im Gegensatz zum Instrument war der Tisch nicht leicht und transportabel. Auch war er in Relation zur Größe des Instruments überdimensioniert. Die Sitzposition am Tisch wirkte steif und wenig souverän. Es ist daher unwahrscheinlich, dass Sor bei seinen Konzerten einen Tisch als Hilfsmittel benutzte. Vielmehr wird er die beschriebene Sitzposition als ideale Haltung für ermüdungsfreies Üben im privaten Rahmen geschätzt haben.

2.2 Der Stuhl als Hilfsmittel

Matteo Carcassi: Méthode complète pour la guitare. 1835.
Matteo Carcassi: Méthode complète pour la guitare. 1835.

Eine weitaus praktikablere Idee hatte Matteo Carcassi (1792-1853): "Um die Guitare gut halten zu können, muss man einen etwas höheren Stuhl wählen als die gewöhnlichen sind; den linken Fuss auf einen Schemel setzen welcher mit dem Stuhle auf welchem man sitzt die gehörige Höhe hat; dann entfernt man das rechte Bein mit auswärts gekehrtem Fusse: das linke Bein behält die gewöhnliche Stellung, das Gewicht des Körpers ruht grösstentheils auf dem linken Schenkel. Sitzt man nun fest auf diese Weise, so setzt man die Guitare in schiefer Richtung auf den linken Schenkel wie es die vorliegende Abbildung zu erkennen gibt; diese Stellung ist einer jeden anderen vorzuziehen, weil sie dem lnstrumente drei Stützpunkte darbietet und dasselbe ohne Beihülfe der Hände im Gleichgewicht erhält; andere Stellungen haben das Nachtheilige dass sie oft Steifheit herbeiführen" (Carcassi 1835, S. 9). 

Bei dieser Sitzposition wurde die Gitarre nicht auf dem rechten Oberschenkel, sondern auf dem Stuhl abgestützt. Das Instrument befand sich nicht im gleichen Winkel zu den beiden Oberschenkeln, sondern war links bis zum Knie vorgeschoben. Auf dem erhöhten linken Oberschenkel lag eher die obere Zargenrundung denn die Zargeneinbuchtung auf. Auf diese Weise konnte die Gitarre ohne großen Kraftaufwand stabil gehalten werden und beide Hände konnten relativ frei arbeiten. Allerdings waren die Hände nicht völlig frei beweglich. Der kleine Finger der rechten Hand diente weiterhin als Stützfinger, und die linke Hand musste, wie Carcassi zugab, zur Stabilisierung des Instruments beitragen: "Die linke Hand muss den Hals leise zwischen dem Daumen und Zeigefinger drücken, die Spitze des Daumens muss in der Gegend der tiefen Saiten zwischen dem ersten und zweiten Bund gesetzt werden, und das grosse Glied des Zeigefingers zwischen dem Sattel und dem ersten Bunde neben der höchsten Saite" (ebd.).

Obwohl Carcassis Idee, die Gitarre auf dem Stuhl abzustützen, einfach und praktisch war, fand sie keinen Anklang. Ein Grund für die Ablehnung mag die auffallend breitbeinige Sitzhaltung gewesen sein, die damals als unschicklich empfunden wurde. Zudem war der Gitarrenhaltung keine Zukunft beschieden, da sie für die aufkommenden Gitarrenmodelle mit größeren Klangkörpern nicht praktikabel war.


3 Die bequeme Gitarrenhaltung: der rechte Oberschenkel als Auflagefläche

Graf Ch.-A. Tertre beim Gitarrenspiel. Gemälde von H.-F. Riesener. 1814.
Graf Ch.-A. Tertre beim Gitarrenspiel. Gemälde von H.-F. Riesener. 1814.

Neben der zweckmäßigen Gitarrenhaltung, bei der die Gitarre auf den linken Oberschenkel gelegt wurde, gab es noch eine weitere Haltung, die als Alternative zur klassischen Gitarrenhaltung genutzt wurde: die bequeme Spielhaltung. Hierbei wurde die Zargeneinbuchtung der Gitarre auf den rechten Oberschenkel gelegt. Die Beine waren leicht gespreizt. Der rechte Fuß wurde auf eine Fußbank gestellt und der Gitarrenhals mehr in der Waagerechten gehalten.

Diese Haltung galt allgemein als weniger geeignet für Frauen, da sie asymmetrisch und damit der weiblichen Anmut abträglich war. Zum einen befand sich der Gitarrenkorpus auf der rechten Seite. Die rechte Schulter musste angehoben und der Oberarm im Schultergelenk nach außen gedreht werden. Zum anderen lag der Gitarrenhals sehr tief. Die linke Schulter musste abgesenkt werden. Wenn man auf das Griffbrett schauen wollte, musste man den Kopf nach unten neigen. Auch der Rücken konnte in dieser legeren Position nicht immer gerade gehalten werden.

J. Meissonnier: Méthode de Guitare ou Lyre. 1830.
J. Meissonnier: Méthode de Guitare ou Lyre. 1830.

Die beiden modernen Gitarrenhaltungen sind auf dem Titelblatt der "Méthode de Guitare ou Lyre" (1830) von Jean-Racine Meissonnier (1794-1856) abgebildet. Die Zuordnung der Haltungen zu den Geschlechtern überließ Meissonier dem Betrachter. Seine Bildbeschreibung war neutral: "Die Gitarre sollte gegen den Unterkörper gedrückt und auf den linken Oberschenkel gelegt werden, wobei der Hals etwas höher gehalten wird; oder auf den rechten Oberschenkel, wobei ein Schemel unter den rechten Fuß gestellt wird. (Siehe Titelbild)“ (Meissonnier 1830, S. 7 übers.). 

F. Sor: Méthode pour la Guitare. 1830. Fig. 9.
F. Sor: Méthode pour la Guitare. 1830. Fig. 9.

Einer der Gitarristen, der die legere Spielhaltung schätzte, war Fernando Sor. Der spanische Gitarrist wählte diese Haltung, weil sie eine ergonomische Anpassung des Instruments an den Körper des Spielers ermöglichte und eine optimale Balance des Instruments sowie eine bequeme Sitzhaltung garantierte. Der Spieler nimmt eine aufrechte Sitzposition ein, bei der die Mitte der Saitenlänge des Instruments mit der Längsachse des Körpers übereinstimmt: "Nun sah ich, dass alle Claviermeister darüber einig sind, dass man dem Punkt gegenüber sitzen müsse welcher die Mitte der Claviatur bestimmt, d. h. vor der Mitte der horizontalen Linie, welche die beiden Hände zu durchlaufen haben; ich fand diese Vorschrift sehr richtig, denn indem beide Arme in gleicher Nähe oder Entfernung vom Körper bleiben, lässt sich jede Bewegung bequem ausführen: und daraus schloss ich, die Mitte der Saitenlänge, der zwölfte Griff müsse sich meinem Körper gegenüber befinden und diese Meinung fand ich unterstützt durch die Gestalt des Rumpfs der Guitarre, welcher ... den Punkt A [= untere Zargeneinbuchtung] als denjenigen angiebt, welcher auf dem rechten Knie ruhen muss; weil aber in diesem Fall das Instrument sich zu tief befinden würde um die linke Hand nach meinem Bedürfniss anlegen zu können, so suchte ich ... einen Stützpunkt für meinen rechten Fuss, welcher mein Knie mehr empor hielte und dadurch die Guitarre in eine meiner linken Hand bequeme Höhe höbe" (Sor 1831, S. 8). Es ist anzunehmen, dass Sor diese Spielhaltung im Konzert der mit dem Tisch als Stütze (s. o.) vorzog.

D. Walker: Exercises for Ladies. 1836. Plate III.
D. Walker: Exercises for Ladies. 1836. Plate III.

Donald Walker bewertete in seinen "Exercises for Ladies" (1836) die Gitarrenhaltungen seiner Zeit aus haltungsphysiologischer Sicht. Sein Urteil fiel negativ aus. Nur Sors Gitarrenhaltung hielt seinem kritischen Urteil stand. Sie vermied seiner Meinung nach die sonst in der Praxis zu beobachtenden Fehlhaltungen: "Beim Gitarrenspiel wird in manchen Fällen das rechte Knie angehoben, um das Instrument zu stützen, und die rechte Schulter ist leicht angehoben. Dies wird durch die weitaus günstigere Haltung von Sor vermieden. - (Siehe Tafel III.) Die erwähnte Praxis führt daher dazu, die seitliche Abweichung weiter in Richtung der rechten Schulter zu verlagern. Häufiger vielleicht wird die Gitarre in den Schoß gelegt, der linke Fuß wird auf einen Hocker gestellt, und die linke Schulter wird angehoben. Dies führt natürlich dazu, die Abweichung in diese Richtung zu verlagern" (Walker 1826, S. 33 übers.).

Eine Dame der Familie Petre beim Gitarrenspiel. Gemälde von Joseph Karl Stieler. 1820.
Eine Dame der Familie Petre beim Gitarrenspiel. Gemälde von Joseph Karl Stieler. 1820.

Sors Freund und Landsmann Dionisio Aguado (1784-1849) beurteilte die bequeme Spielhaltung kritisch. Sie wirke sich nachteilig auf das Gitarrenspiel aus, da die rechte Hand durch die Haltung des Instruments vom Körper getrennt und in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt werde. Er bemängelte auch, dass "der Daumen der linken Hand hart arbeiten [muss], um gleichzeitig das Zusammenspiel zu gewährleisten, das zwischen ihm und den greifenden Fingern bestehen muss, und um das Gleichgewicht aufrechtzuerhalten, das die Gitarre bewahren muss". "Wenn man sie nahe an der Brust hält, verringert sich die Bewegung des Daumens, aber es kann vorkommen, dass der Körper nicht aufrecht gehalten werden kann“ (Aguado 1843, § 62 übers.).

Aus unbekannten Gründen hielt Aguado diese Gitarrenhaltung "eher geeignet ... für die Damen" (ebd.; vgl. Aguado 1849, S. 6). Ob er sie den Damen zuordnete, weil er davon ausging, dass diese keine technisch anspruchsvollen Stücke spielten, oder weil er ihnen zutraute, den Körper auch bei spieltechnisch schwierigen Passagen aufrecht zu halten, muss offen bleiben.

3.1 Das Trageband als Hilfsmittel

Catharina Josepha Pelzer. Lithografie nach einer Zeichnung aus dem Jahr 1830.
Catharina Josepha Pelzer. Lithografie nach einer Zeichnung aus dem Jahr 1830.

Nachdem Donald Walker die Gitarrenhaltung Fernando Sors aus physiologischer Sicht studiert hatte, suchte er nach einer Alternative. Schließlich fand er eine Haltung, die seinen Ansprüchen genügte. Er schrieb einen Brief an Leonard Schulz (1814-1860), den damals wohl bekanntesten Gitarristen Londons, und zitierte dessen Antwort in der zweiten Auflage seiner "Exercises for Ladies" (1837).

Schulz empfahl, beim Spielen ein Trageband zu verwenden und die Gitarre waagerecht unter dem rechten Arm zu halten. Um Verspannungen zu vermeiden, riet er, regelmäßig die Position zu wechseln, auf einem Stuhl zu sitzen, im Stehen zu spielen oder durch die Wohnung zu gehen. Der Positionswechsel sorgte für Bewegung und beanspruchte verschiedene Muskelgruppen: "Ich sorge dafür, dass die Schultern optimal auf einer Höhe sind, indem ich die Gitarre mit einem Band am Hals aufhänge. Ich vermeide sogar eine unterschiedliche Höhe der beiden Hände, indem ich das so aufgehängte Instrument in eine waagerechte Lage bringe, - nicht nur, weil die gemeinsame Höhe des Halses des Instruments und der linken Hand, wenn sie darauf aufgesetzt wird, die natürliche Stellung der Schultern stören und zu den Ursachen der Deformation beitragen kann, die Sie so deutlich beschrieben haben, sondern weil diese Position den Arm ermüdet und den Schüler der perfekten Beherrschung des Griffbretts beraubt, die die waagerechte Lage bietet.

Ich trage den Korpus des Instruments in dieser waagerechten Haltung weitgehend unter dem rechten Arm, um jeglichen Druck auf die Brust zu vermeiden, der die Verdauung, den Kreislauf oder die Atmung beeinträchtigen könnte - eine Überlegung von enormer Wichtigkeit, besonders wenn der Schüler die Gitarre zur Begleitung der Stimme beim Singen benutzt.

Mit dem so gehaltenen Instrument in der natürlichsten, leichtesten, sichersten und unbedenklichsten Haltung kann sich der Schüler entweder auf einen Stuhl setzen, dessen Sitz die üblichen Maße hat, um Freiheit und Leichtigkeit im Sitzen zu gewährleisten, und beide Füße gleichmäßig auf den Boden stellen; - oder er kann beim Spielen stehen, was einer aufrechten und leichten Haltung förderlich ist; - oder, bei vollkommener Freiheit, durch die Wohnung gehen.

So ist alles an dieser Art, auf der Gitarre zu spielen, darauf berechnet, das Instrument von dem geringsten Vorwurf zu befreien, eine ungleiche Haltung der Schultern zu verursachen oder in irgendeiner Weise zu der allzu weit verbreiteten Deformierung beizutragen" (Walker 1837. S. 39-41 übers.).

3.2 Der Stuhl als Hilfsmittel

D. Aguado: Méthode Complète. 1826. Fig. 2.
D. Aguado: Méthode Complète. 1826. Fig. 2.

Dionisio Aguado veränderte die bequeme Spielhaltung, indem er den unteren Zargenbogen der Gitarre auf die rechte Seite eines Stuhls legte. In seiner "Escuela de Guitarra" (1825) beschrieb er die Vorteile dieser Sitzposition, die eine diagonale Ausrichtung der Gitarre ermöglichte: "Der Spieler setzt sich auf einen Stuhl mit einer etwas breiteren Sitzfläche und lässt auf seiner rechten Seite genügend Raum, um die größere Wölbung der linken Zarge der Gitarre darauf abzustützen, während er sie gleichzeitig mit dem rechten Unterarm am oberen Teil der größeren Wölbung der gegenüberliegenden Zarge festhält, so dass sie allein auf diese Weise gut gesichert ist und der Hilfe der linken Hand nur wenig oder gar nicht bedarf, die frei sein muss, um sich ungehindert am Hals entlang bewegen zu können. Letzterer wird mehr oder weniger schräg angehoben, wobei die Neigung im Allgemeinen zwischen 35 und 40 Grad liegen sollte. Eine stärkere oder schwächere Neigung des Halses würde sich nachteilig auf die linke Hand auswirken und dem Arm auf derselben Seite Unannehmlichkeiten bereiten. Der Körper sollte natürlich gerade sein, ebenso wie der Kopf, der weder verdreht noch auf die Bewegungen der linken Hand ausgerichtet sein sollte“ (Aguado 1825, § 17 übers.; vgl. ders. 1826, § 17).

P. L. Aubéry du Boulley: Méthode pour la Guitare. 1842. Fig. 2.
P. L. Aubéry du Boulley: Méthode pour la Guitare. 1842. Fig. 2.

Zumindest im engeren Freundeskreis fand Aguados Idee Anklang. Adolphe Ledhuy übernahm Aguados Ausführungen zur Gitarrenhaltung fast wörtlich in seine "Méthode de Guitare" (1828) (Ledhuy 1828, S. 1) und Prudent Louis Aubéry du Boulley bildete Aguados Gitarrenhaltung in seiner "Méthode pour la Guitare" (1842) ab, obwohl die lithografische Darstellung so gar nicht den in der Gitarrenschule beschriebenen Haltungen entsprach (s. Abb.).

Vergleicht man Aguados Haltung mit der von Carcassi praktizierten Gitarrenhaltung (s. o.), so muss man feststellen, dass sie weniger stabil und bequem war. Sie hatte nur zwei Auflagepunkte und der Körperschwerpunkt war deutlich nach rechts verlagert. Dadurch war der rechte Unterarm viel zu sehr mit dem Halten des Instruments beschäftigt, als dass er entspannte, lockere Bewegungsabläufe beim Spielen unterstützen konnte. Aguado erkannte die Unzulänglichkeit der von ihm entwickelten Gitarrenhaltung und entwickelte ein Stativ, das den rechten Arm von der Aufgabe des Haltens der Gitarre befreite.

3.3 Der Tripode als Hilfsmittel

Dionisio Aguado. Lithografie von J. A. López. 1843.
Dionisio Aguado. Lithografie von J. A. López. 1843.

Als Aguado begann, an einem Gitarrenstativ zu arbeiten, hatte er sich zum Ziel gesetzt, einen klaren und kräftigen Ton zu erzeugen. Der Gitarrenkorpus sollte während des Spielens in Schwingung versetzt werden, ohne dabei beeinträchtigt zu werden: „Damit die Gitarre brillante Töne erzeugen kann, ist es nicht nur unerlässlich, dass die Saiten schwingen, sondern auch, dass sie selbst in Schwingung gerät. Alles, was dem entgegensteht, schadet der genannten Bedingung, und genau das ist bei den bisher angewandten Methoden, die Gitarre beim Spielen zu halten, geschehen, da es notwendig war, ihr eine Stütze auf dem Oberschenkel oder auf dem Stuhl zu geben, und eine weitere auf dem Körper und dem Arm des Spielers, wodurch die entsprechenden Schwingungen der Teile des Korpus behindert wurden, und beim Halten des Instruments eine Kraft aufgewendet wurde, die ganz den Fingern beider Hände für ihre gebührende Wirkung zugedacht war“ (Aguado 1843, § 2 übers.).

Damit der Gitarrenkorpus frei schwingen konnte, entwickelte Aguado ein dreibeiniges Stativ, den Tripode (dt. Dreifuß), auf den die Gitarre montiert wurde. Für die Ausrichtung des Instruments empfahl er einen Neigungswinkel von etwa 25 Grad (ebd. § 56). Außerdem sollte die Gitarre so positioniert werden, dass die Decke leicht zur Brust geneigt war (ebd. § 57) und der Hals-Korpus-Übergang etwas links von der Körperlängsachse lag (ebd. § 60). Die Lithografie von J. A. López, die Aguados Haltung illustrieren soll, zeigt jedoch einen Winkel von etwa 48 Grad. Dies stimmt mit den Angaben im Anhang der Gitarrenschule von 1849 überein. Hier empfiehlt Aguado eine diagonale Ausrichtung des Halses: "Die Finger der linken Hand verlieren an Druckkraft, je weiter der Hals in Richtung der Horizontalen gesenkt wird, und gewinnen sie wieder, wenn der Hals auf eine entsprechende Höhe angehoben wird. Die übermäßige Höhe des Halses ermüdet die Hand" (Aguado 1849, S. 16 übers.).

D. Aguado: Nuevo Método para Guitarra. 1843. Lámina 2. Fig. 1.
D. Aguado: Nuevo Método para Guitarra. 1843. Lámina 2. Fig. 1.

Die Gitarre wurde an zwei Stativzapfen befestigt. Die Schrauben dienten dazu, das Stativ an den Gitarrenkorpus und die Sitzposition des Spielers anzupassen: "A ist ein Knopf mit einer Schraube, die dazu dient, den Metallmechanismus in der eingestellten Höhe zu fixieren. B ist ein Zapfen [piton], der in das Loch passt, das fast alle Gitarren an der Unterseite haben, wo normalerweise ein kleiner Knopf aus Holz oder Elfenbein angebracht ist. C ist ein weiterer Zapfen, der in ein entsprechendes Loch in der Wurzel oder dem sogenannten Fuß des Halses passt (...). D ist eine Schraube, mit der der Mechanismus festgezogen wird, nachdem die (bereits aufgesetzte) Gitarre die gewünschte Neigung zum Korpus erhalten hat. E ist eine weitere Schraube, um den Mechanismus zu befestigen, nachdem der Hals die gewünschte Höhe erreicht hat. f i o sind kleine Schrauben, die dazu dienen, den Mechanismus zu verlängern, damit er zu allen Gitarrentypen passt. V ist eine weitere Schraube, die den langen Arm des Mechanismus verschiebt, um den oberen Zapfen näher an das Bohrloch zu bringen. S ist die Klemme oder der Teil, in den die untere Gitarrenzarge hineingeht. R ist eine kleine Metallscheibe, die so angepasst ist, dass die drei kleinen Arme, aus denen sie besteht, genau auf die drei offenen Füße fallen können, damit sie sich nicht schließen" (Aguado 1843, § 20 übers.).

Ledhuy/H. Bertini: Encyclopédie Pittoresque De La Musique. 1835. S. 124.
Ledhuy/H. Bertini: Encyclopédie Pittoresque De La Musique. 1835. S. 124.

Aguado stellte seine Erfindung erstmals in der "Nouvelle Méthode de Guitare" (1834) vor. Er nannte das neue Stativ "Tripodison". Einer seiner Freunde warb in der "Encyclopédie Pittoresque De La Musique" (1835) für das Gestell, das er fälschlicherweise "Tripedisono" nannte: "Das Instrument ist von demjenigen, der es spielt, völlig isoliert, steht ihm aber dennoch zur Verfügung, wie ein Klavier, dessen Gewicht man nicht zu tragen braucht. Infolge dieser Isolierung ist der Klang viel größer, die Schwingungen werden nicht aufgehalten, und die Hände können völlig frei und ohne Verkrampfung agieren. Die Verlegenheit, die sich daraus ergibt, dass das Instrument in einer für beide Hände bequemen Position gehalten werden muss, verschwindet gänzlich, und es geht nur noch darum zu spielen" (Ledhuy 1835, S. 127 übers.).

Auch Fernando Sor lobte die Vorzüge des Stativs in seinem Vorwort zur "Fantaisie Elegiaque" (op. 59), die er zum Gedenken an den frühen Tod seiner Schülerin Charlotte Beslay (1810-1835) komponiert hatte. Aguados Erfindung habe ihn ermutigt, anspruchsvollere Musik zu schreiben: „Ich hätte es nie gewagt, der Gitarre eine so schwierige Aufgabe aufzuerlegen, wie die, sie dazu zu bringen, die von der Natur dieses Stückes geforderten Effekte wiederzugeben, ohne die ausgezeichnete Erfindung meines Freundes Denis Aguado.“ Dank der Erfindung seines Freundes könne das klangliche Potential der Gitarre voll ausgeschöpft werden: „Die Gitarre bietet nun die Möglichkeit, sie in den Rang zu erheben, der ihr aufgrund ihrer Fähigkeit zur Harmonie fast ebenso gebührt wie der Harfe. Und noch viel mehr für die Melodie. Derjenige, der schon ein wenig Talent besitzt, wäre nicht entschuldbar, wenn er nicht dazu beitragen würde, die Grenzen zu erweitern, in die Ignoranz und Routine dieses mächtige Instrument eingeschlossen haben. Ohne die Erfindung meines Freundes hätte ich mir nie vorstellen können, dass die Gitarre in der Lage ist, die verschiedenen Qualitäten des Klangs, der Singstimme, des Basses und der harmonischen Ergänzung, die bei einem Stück dieses Charakters erforderlich sind, gleichzeitig und ohne große Schwierigkeiten wiederzugeben; denn alles liegt im Bereich des Instruments“ (Sor, op. 59 übers.).

Aguado selbst präsentierte das Stativ auf den Titelblättern seiner Werke opp. 7-16. Er veröffentlichte zudem den Traktat "La Guitare Fixée sur le Tripodison ou Fixateur" (1837), der als Werbebroschüre, Gebrauchsanweisung und Gitarrenschule diente. In seiner "Nuevo Método para Guitarra" (1843) fasste er die Vorteile seiner Erfindung zusammen: 1. Das Instrument hatte nahezu keine Kontaktpunkte und konnte frei schwingen. 2. Der Spieler konnte die Greif- und Spielhand frei bewegen. 3. Er konnte eine natürliche und anmutige Haltung einnehmen. 4. Spieltechnische Schwierigkeiten konnten leichter überwunden werden. 5. Die Hände konnten im Gegensatz zu jeder anderen Gitarrenhaltung richtig positioniert werden. 6. Sänger, die sich auf der Gitarre begleiteten, konnten eine Körperhaltung einnehmen, die für die Stimmproduktion geeignet war. 7. Flageoletttöne konnten leichter erzeugt werden und kamen klarer heraus. 8. Die höchsten Bünde konnten mühelos erreicht werden (Aguado 1843, § 21).

Aguado setzte alles daran, seine Erfindung einem breiten Publikum bekannt zu machen. Mit dem Erfolg des Stativs verband er die Hoffnung, dass "die Gitarre an Beliebtheit zunehmen wird, sobald man erkennt, dass sie mit diesem Hilfsmittel mit der größten Vollkommenheit gespielt werden kann" (Aguado 1843, § 4 übers.). Doch der Erfolg blieb aus. Der Tripode hatte zwei Nachteile: Er beschädigte das Instrument und er war teuer. Fast alle erhaltenen Gitarren, die auf den Dreifuß montiert wurden, weisen Bohrlöcher im Endklotz und Halsfuß sowie deutliche Kratzspuren an diesen Teilen und an der Zarge auf (2). Der Preis des Stativs entsprach etwa dem einer guten Gitarre (3). Der Tripode wurde nur von wenigen Gitarrenliebhabern im Umkreis von Aguado gekauft. Eine allgemeine Nachfrage nach einem Gitarrenstativ gab es nicht. Die Blütezeit der Gitarre war vorbei.


4 Das gleichberechtigte Nebeneinander der Gitarrenhaltungen

Mitte der 1820er Jahre wurden die existierenden Gitarrenhaltungen zum erstmals klassifiziert und typisiert. Die klassische Gitarrenhaltung hatte gegenüber den beiden modernen Alternativen an Popularität verloren, wurde aber weiterhin verwendet, so dass alle drei Gitarrenhaltungen gleichberechtigt nebeneinander existierten. In dieser Zeit der beginnenden Hochromantik verschoben sich die ästhetischen Maßstäbe. Die ästhetischen Ideale der Antike verloren zunehmend an Bedeutung, während Eigenschaften wie schöpferische Individualität und Virtuosität an Bedeutung gewannen. Entsprechend unterschiedlich waren die Anforderungen an eine optimale Haltung der Gitarre. Die einen legten weiterhin Wert auf eine graziöse Sitzhaltung beim Spielen, die anderen bevorzugten eine stabile Gitarrenhaltung, die es der Greifhand erlaubte, sich frei über das Griffbrett zu bewegen.

Prudent Louis Aubery du Boulley (1796-1870) legte in seiner "Méthode Complette et Extrêmement simplifiée pour la Guitare" (1828) eine Klassifizierung der Gitarrenhaltungen vor, die sich an den Kriterien Anmut und Bequemlichkeit orientierte:

"Jeder Lehrer hat seine eigene; ich werde mich darauf beschränken, die drei gebräuchlichsten vorzustellen.

1. Man legt den Korpus des Instruments auf den rechten Oberschenkel und hält den Hals so hoch, dass sich die Wirbel in Augenhöhe befinden. Diese Art, die Gitarre zu halten, ist sicherlich die anmutigste, aber sie bietet einige Schwierigkeiten bei der Ausführung. Wem sie zu unbequem ist, kann eine der folgenden Möglichkeiten wählen.

2. Man legt die Gitarre quer auf den linken Oberschenkel, in der Zargeneinbuchtung, und hat einen Hocker unter dem linken Fuß, um das Instrument etwas höher zu stellen. Diese Position ist weniger anmutig als die vorherige, aber sie bietet mehr Erleichterungen bei der Ausführung.

3. Die Gitarre wird quer auf dem rechten Oberschenkel abgestützt, der mithilfe eines Hockers höher als der linke gehalten wird. Die Gitarre muss so platziert werden, dass die Mitte der Zarge auf dem rechten Oberschenkel liegt und die Resonanzdecke zu drei Vierteln nach außen zeigt. Der Hals muss sehr tief sein.

Dies ist zwar die am wenigsten anmutige Variante, aber sie bietet auch mehr Erleichterungen bei der Ausführung" (Aubery du Boulley 1828, S. 3; ders. 1842, S. 3 übers.).

Aubery du Boulley neigte dazu, die moderneren Gitarrenhaltungen zu befürworten, da sie dem Gitarristen spieltechnische Erleichterungen boten. Jean-Racine Meissonnier (1794-1856) hingegen verzichtete in seiner "Méthode Complète pour la Guitare" (1860) auf jede Wertung und überließ es dem Spieler, eine geeignete Haltung zu finden: "Um die Gitarre mit Leichtigkeit zu spielen, ohne gezwungen zu sein, die Position beider Hände zu stören, sollte man auf einem flachen Stuhl sitzen, den Körper aufrecht halten und Bewegungen vermeiden, die die Ausführung beeinträchtigen könnten. Es gibt verschiedene Weisen, die Gitarre zu halten. Die 1., die am natürlichsten erscheint, besteht darin, das linke Bein anzuheben und den Fuß auf einem Stuhl abzustützen, so dass das Bein als Stützpunkt dient, auf dem der obere Teil der Gitarrenzarge ruht, wobei der Hals so weit angehoben wird, dass er sich vor der linken Hand befindet, wenn man den Unterarm aufrichtet.

2. Art und Weise. Einige Gitarristen platzieren ihr Instrument auch auf dem rechten Bein, das sie anheben, indem sie den Fuß auf einen Hocker oder auf die Quersprosse eines Stuhls stellen.

3. Art und Weise. Der linke Fuß wird auf einen Hocker oder einen Stuhl gestellt, das Bein befindet sich in Höhe der oberen Zarge der Gitarre, der untere Teil des Instruments ruht auf dem rechten Bein, das etwas von der Körperlinie entfernt ist" (Meissonnier 1860, S. 5 übers.).