Verzierungen

Zu den Selbstverständlichkeiten der Aufführungspraxis des 18. und frühen 19. Jahrhunderts gehörte das Einfügen von Verzierungen in die Melodiestimme. Die Verzierungen oder "Manieren", wie sie damals genannt wurden, sollten die geradlinigen Melodien biegsamer und geschmeidiger machen und wichtige Melodietöne hervorheben.

1.1 Die instrumentale Verzierungskunst im späten 18. Jahrhundert

Carl Philipp Emanuel Bach. Kupferstich von A. Stöttrup. 1784.
Carl Philipp Emanuel Bach. Kupferstich von A. Stöttrup. 1784.

Carl Philipp Emanuel Bach (1714-1788) hielt Verzierungen in der Musik für "unentbehrlich": "Sie hängen die Noten zusammen; sie beleben sie; sie geben ihnen, wenn es nöthig ist, einen besondern Nachdruck und Gewicht; sie machen sie gefällig und erwecken folglich eine besondere Aufmercksamkeit; sie helffen ihren Inhalt erklären; es mag dieser traurig oder frölich oder sonst beschaffen seyn wie er will, so tragen sie allezeit das ihrige darzu bey" (Bach 1753, S. 51; vgl. Türk 1789, S. 235).

Allerdings mahnte er, mit Verzierungen "nicht zu verschwenderisch" umzugehen: "Viele Noten, indem sie von keiner Erheblichkeit sind, müssen von ihnen verschont bleiben; viele Noten, welche an sich schimmernd genug sind, leiden sie ebenfals nicht, weil sie nur die Wichtigkeit und Einfalt solcher Noten erheben und von andern unterscheiden sollen" (ebd. S. 54). Auch sei zu berücksichtigen, dass Verzierungen "mehr bey langsamer und mäßiger als geschwinder Zeit-Maaß, mehr bey langen als kurtzen Noten gebraucht werden" (ebd. S. 58f.).

Bach teilte die Manieren in zwei Klassen ein: in wesentliche Manieren, die eigene Bezeichnungen hatten (z. B. Vorschlag, Triller usw.), und willkürliche Manieren, die der Ausschmückung von Fermaten dienten und deren Gestaltung dem Spieler überlassen blieb (Bach 1753, S. 112f.; vgl. Türk 1789, S. 237; Müller 1815, S. 272). Wenn er allgemein von "Manieren" sprach, meinte er in der Regel die wesentlichen Manieren.

Für die Ausführung der Verzierungen stellte Bach zwei Forderungen. Zum einen sollten die Verzierungen in die Zeit der Hauptnote fallen, zum anderen sollten sie an die Hauptnote gebunden sein: "Alle durch kleine Nötgen angedeutete Manieren gehören zur folgenden Note; folglich darf niemals der vorhergehenden etwas von ihrer Geltung abgebrochen werden; indem bloß die folgende so viel verlieret, als die kleinen Nötgen betragen. (...) Vermöge dieser Regel werden also statt der folgenden Hauptnote diese kleinen Nötgen zum Basse oder andern Stimmen zugleich angeschlagen. Man schleifft durch sie in die folgende Note hinein" (ebd. S. 59).

Im Hinblick auf die Notation von Verzierungen wies Bach darauf hin, dass diese zwar durch kleine Noten oder Verzierungszeichen im Notentext vorgeschrieben seien, aber auch improvisatorisch ergänzt werden könnten, wobei man sich bei der Improvisation an musikalische Konventionen halten müsse: "indem man bey denen Stücken, wo alle Manieren angedeutet sind, deswegen unbekümmert seyn kan, so pflegen im Gegentheil die Stücke, wo wenig oder nichts dabey gezeichnet ist, nach der gewöhnlichen Art mit ihren Manieren versehen zu werden" (ebd. S. 55).

Johann Joachim Quantz. Kupferstich von Joh. D. Schleuen. 1767.
Johann Joachim Quantz. Kupferstich von Joh. D. Schleuen. 1767.

Johann Joachim Quantz (1697-1773) empfahl, nur solche Verzierungen zu wählen, die zum Charakter eines Stückes passen: "Der simple Gesang muß im Allegro, eben so wohl als im Adagio, durch Vorschläge, und durch die andern kleinen wesentlichen Manieren, ausgezieret und gefälliger gemacht werden: nachdem es jedesmal die vorkommende Leidenschaft erheischet. Das Prächtige leidet wenig Zusatz: was sich aber ja noch etwa dazu schicket, muß erhaben vorgetragen werden. Das Schmeichelnde erfodert Vorschläge, schleifende Noten, und einen zärtlichen Ausdruck. Das Lustige hingegen verlanget nett geendigte Triller, Mordanten, und einen scherzhaften Vortrag" (Quantz 1752, S. 117). Auch die Geschwindigkeit der Ausführung, so Quantz, müsse dem Charakter des Stückes angepasst werden. Im Adagio sollten die Verzierungen langsamer ausgeführt werden als im Allegro: "Mit den Manieren muß man sich im Zeitmaaße nicht übereilen; sondern dieselben mit vielem Fleiße und Gelassenheit endigen: weil durch die Uebereilung die schönsten Gedanken unvollkommen werden" (ebd. S. 141).

Quantz riet den Musikern, bei der Verwendung von Verzierungen Maß zu halten und für Abwechslung zu sorgen: "Einige begehen ... mit den hier beschriebenen Vorschlägen, und übrigen wesentlichen Manieren, viel Misbrauch. Sie lassen, so zu sagen, fast keine Note, wo es nur irgend die Zeit, oder ihre Finger gestatten, ohne Zusatz hören. Sie machen den Gesang entweder durch überhäufte Vorschläge und Abzüge zu matt; oder durch einen Ueberfluß von ganzen und halben Trillern, Mordanten, Doppelschlägen, battemens, u. d. gl. zu bunt. (...) Wer nun dergleichen Fehler nicht begehen will; der gewöhne sich bey Zeiten, weder zu simpel, noch zu bunt, zu singen oder zu spielen; sondern das Simple mit dem Brillanten immer zu vermischen" (ebd. S. 82; vgl. Türk 1789, S. 238).

1.2 Die instrumentale Verzierungskunst im frühen 19. Jahrhundert

In der Romantik wurde die Anzahl der Verzierungselemente deutlich reduziert. Johann Nepomuk Hummel und Louis Spohr beispielsweise berücksichtigten in ihren Lehrwerken nur noch Triller, Schneller, Doppelschlag und Vorschlag als Verzierungen (vgl. Hummel 1828, S. 385; Spohr 1832, S. 154). Dafür traten expressive Ausdrucksmittel in den Vordergrund: Klangfarbe, Dynamik und Artikulation, Glissando, Vibrato und Rubato. In der Ornamentik vollzog sich ein Paradigmenwechsel. Entsprechend der romantischen Gefühlsästhetik wurden expressive Ausdrucksmittel höher bewertet als die klassischen Verzierungen, die eine Melodie nur äußerlich schmückten. Louis Spohr ordnete die Verzierungen den technischen Mitteln zu, die für einen "richtigen Vortrag" notwendig waren. Die expressiven Ausdrucksmittel hingegen betrachtete er als Möglichkeiten, einen richtigen Vortrag zu einem "schönen Vortrag" zu erheben (ebd. S. 195f.).

2 Die Verzierungskunst in der Gitarrenmusik

In der Gitarrenmusik des frühen 19. Jahrhunderts war die Kunst der Verzierung ein integraler Bestandteil des Musizierens. Bereits einfache Übungsstücke wurden mit Verzierungen versehen, und fast jede Gitarrenschule gab einen Überblick über die wesentlichen Manieren und ihre Zeichen. Anspruchsvollere Gitarrenkompositionen enthielten Fermaten, die dem Spieler signalisierten, dass er an dieser Stelle nach Belieben verzieren konnte. Oft wurden auch willkürliche Manieren in den Notentext geschrieben, damit auch weniger geübte Spieler mit kleinen 'Improvisationen' glänzen konnten. Von professionellen Gitarristen wurde erwartet, dass sie die von ihnen gespielten Melodien spontan mit Verzierungen versahen. So schrieb Carl Blum in seiner "Neue[n] vollständige[n] Guitarren-Schule" (1819): "Die Verzierungen ... gehören zu den unumgänglichen Erfordernissen eines guten Spielers und Sängers. Die reizendste Melodie, wenige Ausnahmen abgerechnet, klingt leicht hölzern, ohne eine zweckmässige, dem Charakter angemessne, und zur gehörigen Zeit, angebrachten Verschönerung" (Blum 1819, S. 22).

Die Gitarrenschulen dieser Zeit beschränkten sich in der Regel auf kurze spieltechnische Hinweise zu den einzelnen Verzierungen. Nur selten enthielten sie allgemeine Erläuterungen zur ornamentalen Funktion der Verzierungen. Eine Ausnahme bildete die "Neue Guitarre-Schule" (1820) von Johann Traugott Lehmann. Hier wurde die Funktion der Verzierungen im Zusammenhang mit den Grundlagen eines guten Vortrags systematisch erläutert. In Anlehnung an Sulzers "Theorie der schönen Künste" (1771-74) stellte Lehmann drei Kriterien für einen guten Vortrag auf: Deutlichkeit, Ausdruck und Schönheit. Die Ornamentik ordnete er dem dritten Kriterium zu. Das Kriterium der Schönheit verlange "in Rücksicht auf Verzierungen, die sie in Melodien bringt: Fermaten und Cadencen und Manieren" (Lehmann 1820, S. 12). "Gewöhnlich hat sie der Kompositeur im Tonstück selbst vorgeschrieben, und dann fordert es nichts, als dass man sie schon einstudirt habe, und ohne ihre Schwierigkeiten bemerklich werden zu lassen, herausbringen und vortragen kann. Sind sie nicht vorgeschrieben, dann ist es nöthig, dass man, ausser der Fertigkeit, sie leicht hervorzubringen, Geschmack und Erfahrung genug besitze, sie so einzustreuen, dass sie die Annehmlichkeit eines Tonstücks nicht vermindern, sondern erhöhen. Wobei jeder, der dieses kann, von selbst wissen wird, dass sie nicht zu häufig eingewebt werden dürfen" (ebd.). In diesem Sinne betonte auch Johann Jakob Staehlin (1772/73-1839), dass zu einem guten Vortrag die "leichte Ausführung der vorgeschriebenen Verzierungen und guter Geschmack bey sparsamer Einstreuung der willkührlichen" gehöre (Staehlin 1811, S. 11).

In der Romantik wurden Verzierungen nicht nur als schmückendes Beiwerk, als "Verschönerungen und Annehmlichkeiten" verstanden (Bathioli 1825, Theil II/1, S. 22), sondern auch und vor allem als expressive Ausdrucksmittel. Ferdinand Pelzer unterschied begrifflich zwischen "Verzierungen" (Graces) und "Ornamenten des Ausdrucks" (Ornaments of Expression), zu denen er Glissando und Stakkato zählte (Pelzer 1835, S. 48). Und Dionisio Aguado verstand Verzierungen in erster Linie als Ausdrucksmittel: "Die Bindung, der Vorschlag, der Mordent usw. geben dem Ausdruck [expresioneinen neuen Glanz, wenn sie passend und nicht zu häufig gebraucht werden. Es gibt noch eine andere Art der Verzierung, die darin besteht, den Mechanismus bestimmter Melodien zu variieren: Diese Variation muss einfach sein, damit die Hauptidee nicht entstellt wird, und sie muss wie alle Arten von Verzierungen vom guten Geschmack bestimmt sein" (Aguado 1843, § 295 übers.).

Die wesentlichen und willkürlichen Verzierungen sowie die expressiven Ausdrucksmittel der Romantik werden im Folgenden näher betrachtet.

  1. Der Vorschlag
  2. Der Doppelschlag
  3. Der Triller
  4. Der Pralltriller
  5. Der Mordent
  6. Das Glissando
  7. Das Tremolo
  8. Die willkürlichen Verzierungen